Letzte Aktualisierung: 17. Oktober 2024 Text: Ingrid Blum
Die meisten Hunde treffen durch magische «Augen-Blicke» ins menschliche Herz. Der hündische Gesichtsausdruck entscheidet über einen Lebensplatz – die menschliche Emotion verdrängt den Verstand und das wahrgenommene Bild ist im Hirn unauslöschbar. Aber irgendwann später ist die Magie entschwunden.
«Sie ist ja sonst ein lieber Hund, nur die Bellerei und dass sie nicht hört, wenn ich rufe, geht mir auf den Nerv!», meint die Dame mit der putzigen Jagdhündin. «Wir haben sonst keine Probleme, aber dass er jeden Besucher, der ihn streicheln will anknurrt, muss sich ändern», sagt der Boutique-Inhaber und krault dabei gedankenversunken seinen wuscheligen Herdenschutzhund.
«Er darf ja mit zur Arbeit, aber dort bellt er so viel, dass ich schon Probleme mit dem Chef bekomme. Dabei habe ich extra diese kleine Rasse ausgesucht, die nicht bellen soll», seufzt die junge Frau und ihr Blick verschmilzt mit den Kulleraugen des Zwerghundes. Aber wo finden wir ihn, den perfekten Freund und treuen Begleiter, den Kumpel und problemlosen in jeder Lebenslage beherrschten und ruhigen, gut sozialisierten, souveränen, kinderfreundlichen, nicht jagenden Hund fürs Familienleben in der Stadt oder auf dem Land?
Man nehme ...
... eine Rasse, die einem das Herz öffnet und ins eigene Umfeld passt, sucht einen guten Züchter, besucht den Welpen wöchentlich, um seine Entwicklung zu verfolgen und sich vertraut mit ihm zu machen, bereitet seine Abholung minutiös vor, führt ihn behutsam an den eigenen Haushalt und Tagesablauf heran und besucht die beste Hundeschule, die es gibt.
Und schon beginnt das Chaos
Die Optik bestimmt meistens die Wahl der Rasse. Grösse und Fellbeschaffenheit sind ebenso von Wichtigkeit. Grundsätzlich werden Hunde heute selten für den ihnen angestammten Verwendungszweck gekauft. Menschen haben Rassen für vielfältige Aufgaben gezüchtet, diese Hunde sind im Laufe der Zeit durch genetische Selektion zu Spezialisten geworden. Viele Leute glauben, dass die einstigen Spezialisten heute keine mehr seien, weil man sie nicht mehr dafür einsetzt. Diese Annahme ist falsch. Nach den Rassestandards werden Hunde nur zur Zucht zugelassen, wenn sie dem ursprünglichen Verwendungszweck nach geeignet sind, d. h., wenn sie die genetischen Anlagen mitbringen und weitervererben. In all der Zeit gab es keinen Hund, der als reiner «Familienhund» gezüchtet und standardisiert wurde. Die FCI-Gruppe 9 (FCI = Fédération Cynologique Internationale, grösster internationaler kynologischer Dachverband) fasst hier Gesellschafts- und Begleithunde zusammen. An der Entstehung vieler dieser Rassen waren Jagd- oder Wachhunde beteiligt, deren Anlagen mehr oder weniger durchschlagen können.
Finde den guten (Hobby-)Züchter
Wie erkennt man ihn? Reicht ein Gütesiegel oder jahrelange Erfahrung aus? Nur, was steht dahinter? Hat er einfach schon x Würfe aufgezogen? Weiss er über Hunde im Allgemeinen Bescheid oder bloss über «seine» Rasse? Bildet er sich weiter und kann das auch belegen? Weiss er über Krankheiten der Rasse Bescheid und informiert darüber? Wird Inzucht verhindert? Wird auf Wesen und Gesundheit Wert gelegt oder nur auf Ausstellungstitel? Kann man Hunde aus früheren Würfen der gleichen Verpaarung bei ihren Besitzern besuchen? Welche Eigenschaften hat der Vater des geplanten Wurfes und wie benehmen sich die Elterntiere im normalen Alltag bei unterschiedlichen Begegnungen? Sind sie so, wie man sich den späteren eigenen Hund wünscht? Jagdverhalten, Ängstlichkeit, schnelle Erregbarkeit und andere Eigenschaften werden vererbt. Gibt es löblicherweise nur einen Wurf im Züchterhaus und nimmt man sich für diesen viel Zeit? Lässt man der Zuchthündin die Wahl und auch eine vernünftige, der Natur entsprechende Pause oder muss sie jährlich Welpen gebären, ohne dass sie es will? Wie läuft die Trächtigkeit und Geburt ab? Hat die Hündin ihr vertrautes Umfeld in Ruhe und Geborgenheit, so dass auch die Welpen von unnötigem Stress, welcher das spätere Verhalten drastisch beeinflussen kann, verschont bleiben? Bekommen die Hündin und auch die Welpen verschiedene Futter-Arten und ist genügend vorhanden, so dass nicht um Futter gekämpft werden muss?
Bestens sozialisiert
Hunde werden als: «Bestens sozialisiert, an Kinder und andere Tiere gewöhnt» inseriert. Die Sozialisierungsphase dauert von der vierten bis etwa vierzehnten Lebenswoche. Die Hauptverantwortung für die sichere Entwicklung eines geplanten Wurfes fällt also dem Züchter zu. Auch wenn wir einen Welpen oder erwachsenen Hund aus dem Tierschutz übernehmen, sind all die oben genannten, in manchem Falle unbekannten Faktoren für das Wesen des Hundes mitverantwortlich. Sind die Welpen «bestens sozialisiert», so müsste man davon ausgehen, dass sie mit dem normalen Haushaltsalltag vertraut gemacht wurden und nicht im dunklen Stall aufwachsen. Dafür braucht es keine Endlos-Geräusch-CD, sondern echte, nach mentaler Entwicklung sinnvoll dosiert angebotene Möglichkeiten, neue Reize verarbeiten und positiv abspeichern zu können, und dies in Anwesenheit von Mutter und Geschwistern.
An Kinder gewöhnt
Man kann Welpen so oder so an Kinder und andere Lebewesen gewöhnen. Das Wort «Gewöhnung» lässt keinen Schluss darauf zu, ob gut oder schlecht gewertet wurde. Es gibt Züchter, welche behutsam und nur unter Aufsicht nette Kinder zu den Welpen ab einem bestimmten Alter lassen. Der ruhige Umgang mit Kindern kann Gutes bewirken, aber eben nur dann, wenn die neue Situation als positiv beim Welpen abgespeichert wird. Das Gleiche gilt für andere Haustiere wie z.B. Katzen.
Wir erziehen uns einen Hund
Wie aus alldem hervorgeht, reicht der Wille, den Hund mit Erziehung zu formen, nicht aus. Es ist wichtig, eine Hundeschule zu suchen, die Hunde in ihrer Persönlichkeit und ihrem Talent fördert und sich auch mit den rassespezifischen Eigenheiten auskennt. Sozial sicher und offen heisst, dass der Hund mitdenken und Vorschläge machen darf, aber sich auch an Grenzen halten muss. Unterdrückung, Gewalt und Geschrei fördern Aggression oder Angst und haben keinen Platz bei der Erziehung. Man muss sich also über viele Faktoren bewusst werden, die dazu führen, ob und wie man heute zu einem «guten» Hund kommt. Das Wichtigste ist wohl, Eigenverantwortung zu übernehmen, vergleichen und kritisch hinterfragen. Das Bewusstsein über den ursprünglichen Verwendungszweck der ausgesuchten Rasse und das Wissen über Einkreuzungen erleichtern den Alltag. Es ist somit keine Überraschung, dass evtl. Bellen, Knurren oder Jagdeifer zum typischen Rassevertreter gehören, also keine Verhaltensstörung vorliegt und genetisch fixierte Eigenschaften nicht wegerzogen, höchstens in Bahnen gelenkt werden können.
Quelle: weltdertiere.ch
©Text: Ingrid Blum