Letzte Aktualisierung: 10. Okotber 2024 Text: Andreas Krebs
Seit der Wolf in die Schweiz zurückgekehrt ist, kommt es immer wieder zu Schäden an Nutztieren. Um diese gering zu halten, braucht es einen gut funktionierenden Herdenschutz. Herdenschutzhunde spielen dabei eine wichtige Rolle; in der Schweiz sind rund 200 im Einsatz. Sie leisten auch einen wichtigen Beitrag zum Schutz ihrer Ahnen.
Zum ersten Mal seit 150 Jahren lebt in der Schweiz wieder eine Wolfsfamilie. Die Jungen sind letztes Jahr im Calanda- Massiv bei Chur zur Welt gekommen. Sicher müsse man das Mass der Ausbreitung beobachten, sagt der Bündner Jagdinspektor Georg Brosi. «Doch wenn wir wollen, hat es in der Schweiz Platz für Wolfsfamilien.»
Das sehen nicht alle so. Der grösste Widerstand gegen die Rückkehr der Grossraubtiere kommt ausgerechnet von den Hobbyschafzüchtern, deren Freizeitbeschäftigung die Öffentlichkeit teuer zu stehen kommt: Der Bund gibt für die Schafsömmerung rund 4,7 Millionen Franken aus, für die gesamte Schafhaltung sogar 43 Millionen. Gewiss, die Hobbyschafzüchter leisten einen wichtigen Beitrag zur Pflege der Landschaft: Mit ihren Tieren bewirtschaften sie Flächen, die von Vollamtbetrieben aus wirtschaftlichen Gründen der Vergandung überlassen würden. Das rechtfertigt aber nicht den teilweise massiven Widerstand gegen Wolf und Co.
Die meisten der rund 210 000 gesömmerten Schafe und 30 000 Geissen verbringen den Sommer allein, weit oben auf der Alp. Ungeschützt. Da drohen Steinschläge, Stürze, Krankheiten, Füchse, Kolkraben, Adler, Schneeeinbrüche, Blitzschläge, wildernde Hunde. Und manchmal holt sich ein Wolf, ein Luchs oder ein Bär ein paar Schafe. Doch sind die von den Grossraubtieren verursachten Schäden eigentlich kaum der Rede wert. Im letzten Jahr wurden 125 Wolfsrisse verzeichnet (2011: 274; 2010: 84; 2009: 358 Risse). Auf die Kappe von Luchsen gingen 24 Risse (2011: 35; 2010: 51; 2009: 41). Zum Vergleich: Während der Schafsömmerung sterben pro Jahr rund 4500 Schafe. Die 149 Grossraubtierrisse vom vergangenen Jahr machen gerade mal drei Prozent aus.
Bei den meisten Ausfällen gibt es keine Entschädigung. Bei Wolf-, Luchs- und Bärrissen hingegen übernimmt der Bund den finanziellen Schaden. Das Wehklagen der Schäfer befremdet auch deshalb. Insbesondere aber weil verletzte oder kranke nicht behirtete Schafe oft tage- und wochenlang leiden. Das verstösst gegen das Tierschutzgesetz, wird von Schafzüchtern aber in Kauf genommen. Darüber scheint sich niemand aufzuregen. Stattdessen hat der Nationalrat am 30. September 2010 nach hitzigen Diskussionen entschieden, den Schutz des Wolfes zu lockern. Statt über die Anpassung der Nutztierhaltung in den Alpen zu diskutieren, würden ein paar Wölfe zu Sündenböcken hochstilisiert, so Kurt Eichenberger, Grossraubtier- Experte des WWF Schweiz. Das sei der Sache nicht dienlich. «Es braucht langfristige Konzepte, keine Gewehrkugeln. Es gibt nichts anderes, als Herden zu schützen.»
Den effizientesten Schutz bieten Herdenschutzhunde. Grosse, kräftige Tiere. In Osteuropa, Frankreich, Spanien und Italien werden sie seit Jahrhunderten eingesetzt. In Europa sind ein gutes Dutzend Rassen heimisch. Sie sind sehr eigenständig, instinktsicher und mutig genug, selbst einem Bären gegenüberzutreten. Dabei kommt es fast nie zum Kampf. Die Präsenz des Herdenschutzhundes reicht in der Regel, um Wildtiere abzuschrecken.
In der Schweiz werden die Rassen Maremmano Abruzzese (I) und Montagne des Pyrénées (F), die sogenannten Patou, eingesetzt. 2000 hat der WWF Schweiz ein entsprechendes Projekt gestartet. 2003 hat es der Bund übernommen. Heute sind rund 200 Hunde im Einsatz sowie 20 in Aufzucht. «Die Abwehr der Grossraubtiere durch die Schutzhunde hat sich bewährt», sagt der Schweizer Herdenschutzbeauftragte Daniel Mettler. In korrekt geschützten Herden gebe es, wenn überhaupt, nur noch sehr wenig Risse. Das Thema sei jedoch komplex. Viele Faktoren spielten eine Rolle: Alpsituation, Konfliktpotenzial mit Touristen, Motivation und Professionalität der Schäfer und Züchter.
Einer von ihnen ist der Walliser Schafzüchter Walter Hildbrand. 1999 hat er die ersten Herdenschutzhunde eingesetzt, notabene zum Schutz vor Füchsen und Kolkraben, die immer wieder Lämmern die Augen aushacken: «Die holen sich mehr Schafe als Luchs und Wolf zusammen. Aber darüber regt sich niemand auf. Raben waren eben schon immer da», sagt Hildbrand. Er züchtet Maremmano Abruzzese und amtet als Berater für den Einsatz von Herdenschutzhunden im Kanton Wallis.
Sein Engagement für den Herdenschutz stösst bei vielen seiner Kollegen auf Ablehnung. «Aber gegen den Wolf zu sein, ist keine Lösung», sagt Hildbrand. Tatsache sei, dass der Wolf seit 15 Jahren «sans papier» einwandere. «Und es werden immer mehr. Wir können sie abschiessen, einen nach dem anderen. Aber das bringt höchstens eine kleine Verschnaufpause.» Der Einsatz von Schutzhunden sei vielversprechender, so Hildbrand. Und Eichenberger erklärt: «Würden auf den richtigen Alpen Herdenschutzhunde eingesetzt, wären die Wolfsterritorien mehr oder weniger bestimmbar.»
In Spanien leben um die 2000 Wölfe; trotzdem hat der Bestand der Weidetiere zugenommen. Natürlich greifen auch in Spanien Wölfe Schafe an – kein Schäfer würde deshalb fordern, den Wolf zu töten. Stattdessen schützen sie ihre Tiere seit Jahrhunderten selbstverständlich mit Hunden und Zäunen. Auch in Frankreich funktioniert der Herdenschutz gut, trotz bereits 200 Wölfen. Im Piemont leben 80 bis 100 Wölfe. Auch hier haben sich die Schäfer mit ihnen arrangiert. Sie schützen ihre Schafe mit Schutzzäunen und Herdenschutzhunden. Für die Turiner Wölfe ist es ein kurzer Weg in die Schweiz. Weitere Tiere werden einwandern, auch aus Frankreich. Manche ziehen weiter nach Deutschland und Österreich. Andere bleiben. Es ist anzunehmen, dass sich der Wolf in den nächsten Jahren auch hierzulande grossflächig verteilen wird. In einigen Jahren könnten es 50 bis 100 Wölfe sein, prognostiziert der Grossraubtier-Experte Eichenberger.
Quelle: weltdertiere.ch
© Als freier Journalist schreibt Andreas Krebs über das Verhältnis zwischen Mensch und Natur.