Letzte Aktualisierung: 15. Okotber 2024 Text: Dr. med. vet. Dunya Reiwald
Tiere haben nicht die gleiche Denkweise wie wir Menschen, ihr Gehirn ist weniger stark ausgebildet als unseres. Deshalb liegt es an uns Menschen, die Tiere so gut wie möglich zu verstehen, ihr Verhalten zu entziffern und demnach mit ihnen zu kommunizieren.
Jede Spezies funktioniert auf ihre ganz eigene Art, angepasst an Fauna, Milieu und meteorologische Gegebenheiten. Ausgestattet mit einem Immunsystem, das gegen spezielle Keime schützt und mit einem Verhalten, das die Kommunikation innerhalb der Spezies gewährleistet.
«… zwischen Mensch und anorganischer Schöpfung auch unzählige Wesen gibt, die nicht nur wie Mitmenschen einem schlichten, gefühlsmässigen Verständnis zugänglich sind, sondern auch den Methoden sogenannter wissenschaftlicher Analyse. Für diese sind sie keineswegs unerforschliches Geheimnis, sondern, wie bereits unsere gegenwärtige Forschung klar kundtut, nur wegen ihrer eigenen Komplikation schwer zu ergründen.»
Zitat von: Konrad Lorenz, 1986
Herr Lorenz meinte damit, dass Tiere für uns Menschen nicht grundsätzlich unverständlich sind. Vielmehr liegt es an ihrer eigenen Funktionsweise, dass sie für uns schwer zu ergründen sind. Deshalb lohnt es sich allemal, sich ein wenig in die Verhaltensmedizin zu vertiefen, um diese fantastischen, emotionell grandiosen, von der Kognition oder Intelligenz her aber andersdenkenden Wesen besser zu verstehen.
Tiere begleiten uns seit Urzeiten im Alltag, und dieser Alltag verändert sich rasant. Anfangs waren einige der Tiere unsere Beschützer oder dienten uns als Fortbewegungsmittel. Andere bewahrten unsere Nahrungsmittel vor den Mäusen. Heute ist ihre Rolle eine andere: Als Haustiere sind sie unsere Begleiter oder aber sie dienen uns als Nutztiere. So oder so, in einer zunehmend technisierten Umwelt gestaltet es sich immer schwieriger, Tiere artgerecht zu halten. Hier einige Tipps, wie es doch gelingen kann, diesen wunderbaren Kreaturen ein anständiges Leben zu bieten.
Verhaltensmedizin bei Hunden
Hunde waren die ersten Haustiere des Menschen, davon zeugen Funde aus dem Mesolithikum. Sie begleiten uns seit mehr als zehntausend Jahren, eine Zeit, die sich ein Mensch nur schwer vorstellen kann. Anders als lange angenommen, stammen die Hunde erwiesenermassen nur vom Wolf ab und nicht vom Schakal oder anderen Caniden. Als Wölfe können wir unsere besten Freunde aber nicht mehr betrachten. Zu lange ist es her, dass Rudelmitglieder durch die Wälder und Prärien liefen, um geeignete Beute zu ergattern. In den vielen Jahren, in denen sich der Wolf zum Hund entwickelte, wurde sein Verdauungssystem an eine umfangreichere Speisekarte gewöhnt, sein Gehirn passte sich dem des Menschen an und seine Lautäusserungen veränderten sich. Der Hund ist kein Wolf mehr. Er besitzt Gene, welche die Verdauung von Getreide erlauben und solche, die menschliche Emotionen entziffern. Er erkennt den Menschen als Partner und Hilfsperson an, wenn es um die Lösung schwieriger Probleme geht. Dies hat sich in Experimenten gezeigt. Der Wolf hingegen handelt in solchen Situationen nach wie vor eigenständig und verzichtet auf die hilfreichen Hinweise des Menschen.
Weshalb der Mensch den Wolf wählte, oder umgekehrt, ist nach wie vor umstritten. Sicher ist, dass die beiden Spezies genügend Gemeinsamkeiten aufweisen, um eine perfekte Kooperation zu ermöglichen. Und Kooperationsbereitschaft gehört zu den Grundeigenschaften eines sozialen Wesens, zusammen mit Kommunikationsfähigkeit und Bindungsvermögen. Ohne diese Voraussetzungen kann keine Gemeinschaft gegründet werden.
Darauf basiert die Verhaltensmedizin, die für jede Spezies anders funktioniert, weil jede Spezies andere Bedürfnisse hat. Hunde sind sehr soziale Tiere, die eine Hierarchie schätzen; die froh sind, wenn sie wissen, wer das Sagen hat. Dies kann je nach Situation variieren. Einige Hunde tolerieren alles, ausser, wenn es ums Essen geht. Andere dulden alles, es sei denn, es geht ums Spielzeug. Jedes Tier hat seine individuellen Präferenzen. Welche das sind, ist das erste, was der Verhaltensmediziner herausfinden muss, damit er dann das Lob richtig einsetzen kann. Denn was nützt es, einem Hund Gudelis zu geben, wenn diesernichts davon hält…
Welpenzeit als prägender Faktor
Viele Hunde haben heutzutage das Pech, keine gute Welpenzeit gehabt zu haben und entwickeln Verhaltensstörungen, die zum Glück aber behandelt werden können. Anhand eines genauen Schemas wird herausgefunden, woran der Hund leidet. Ist er hyperaktiv oder deprimiert? Leidet er an einer Deprivation, was bedeutet, dass er in der sensiblen Phase der ersten vier Monate nach der Geburt nicht an die lebenswichtigen Alltagssituationen gewöhnt wurde und vor vielen Sachen Angst hat? Oder ist er aggressiv, und wenn ja, aus welchem Grund und in welchem Masse?
Ein Beispiel: Kora kommt aus einer Tötungsstation in Spanien. Sie wurde im Alter von vier Monaten durch die Strassen gejagt und brutal eingefangen von Menschen, die dafür bezahlt werden und nicht zimperlich sind. Dann kam jemand aus der Schweiz und bewahrte sie vor ihrem drohenden Schicksal der Tötung. Doch die bisherigen Erlebnisse haben ein Trauma hinterlassen – Kora traut keinem Zweibeiner. Solch ein Hund leidet erheblich unter diesem Zustand der ständigen Unsicherheit und kann nur dank einer guten Verhaltenstherapie schnell in eine neue Familie eingegliedert werden. Das Tier braucht eine Unterstützung für das Gehirn, etwas, das es zugänglich macht, damit überhaupt mit ihm geübt werden kann, zum Beispiel ein Psychopharmakon oder Homöopathie. Denn Kora muss lernen, dass die Menschen nicht alle so sind wie diejenigen, auf die sie in Spanien getroffen ist. Sie muss lernen, Vertrauen zu den Menschen zu entwickeln. Sie muss lernen, vor dem Bus, dem Autofahren, vor den Kühen auf der Weide oder den Nachbarskindern keine Angst zu haben.
Die Übungen müssen einem genauen Muster folgen, damit sich die Angst nicht verstärkt statt abzunehmen.
Eine gute Therapie erkennt man an deren Erfolg. Wenn innerhalb von zwei Wochen keine deutliche Besserung eintritt, ist etwas am Übungsplan nicht optimal. Bei aggressiven Hunden werden der Grad der Aggressivität und die Gefährlichkeit evaluiert. Je nachdem wird der Hund therapiert oder als zu gefährlich eingestuft. Dann muss er umplatziert oder im schlimmsten Fall euthanasiert werden. Meistens gelingt es zum Glück, solche Hunde zu behandeln und wieder gesellschaftsfähig zu machen. In jedem Fall muss der Verhaltensmediziner, der ja immer auch Tierarzt ist, zwischen körperlicher und psychischer Krankheit unterscheiden. Viele Hunde sind aggressiv, weil sie z. B. Schmerzen haben, dann geht es darum, diese zu erkennen und zu beseitigen. Meistens erübrigt sich dann eine Verhaltenstherapie. Zu guter Letzt noch ein Tipp: Gute Kommunikation zwischen Hund und Mensch sollte sich vor allem auf das Wesentliche beschränken, mit ganzen Wortschwallen kann ein Hund wenig anfangen. Wer weiss, was positive und negative Bestärkung ist, also Belohnen und Bestrafen, der ist schon wunderbar unterwegs.
Der Hund ist das sozialste Wesen, das ich kenne.
Er braucht als solches unabdingbar drei Dinge:
Kontakt mit seinen Nestgeschwistern bis zu einem Alter von 6 Wochen, um seine sozialen Fähigkeiten zu erlernen und zu entwickeln: Dass nicht zu heftig gespielt werden darf, dass Zubeissen untersagt ist und man sich nach einer kurzen Weile beruhigen soll. Er lernt, wie man mit seinesgleichen und anderen Spezies umgeht.
Kontakt mit allem, was später in seinem Leben eine Rolle spielen wird, bis zum Alter von 16 Wochen: Verkehr, Kühe, Pferde, viele Menschen, laute Menschen, Kinder… alles sollte erforscht worden sein, um später keine Angst auszulösen.
Lebenslanges Üben des Gelernten unter vertrauter Aufsicht. Spiel mit und Kontakt zu Gefährten und Menschen ist unabdingbar, um nichts zu verlernen. Diese Massnahmen werden ergänzt durch ausreichende Bewegung und eine optimale Fütterung.
©Dr. med. vet. Dunya Reiwald (Tierärztin, Homöopathin und Verhatenmedizinerin)