Letzte Aktualisierung: 8. Okotber 2024 Text: Ruth-Lisa Knapp
Zählen und Rechnen sind kognitive Leistungen, die man gemeinhin nur dem Menschen zutraut. In diversen Versuchen wollen Forscher ergründen, ob auch Tiere über vergleichbare Fähigkeiten verfügen, die eine gewisse Abstraktionsfähigkeit voraussetzen.
Heute leben unsere Haustiere sehr viel enger mit uns zusammen, als dies früher der Fall war. Sie haben nur noch selten einen «Job» wie beispielsweise auf dem Hof Mäuse fangen oder das Haus bewachen. Sondern sie leben mit uns Menschen, weil wir sie mögen. Und das tut zumeist ihnen als auch uns seelisch gut.
Was aber, wenn einer von beiden – Mensch oder Tier – ins mentale Ungleichgewicht kommt? Welche Wechselwirkungen kann dies auslösen? Ein aktueller Erfahrungsbericht von Dr. med. vet. Dunya Reiwald.
Ein Pferd, das rechnen kann?
Anfang des 20. Jahrhunderts war der Kluge Hans eine Sensation. Der Hengst beherrschte offenbar nicht nur die Grundrechenarten, er konnte sogar Quadratwurzeln ziehen! Wenn sein Besitzer, der Lehrer Wilhelm von Osten, ihm eine Aufgabe präsentiert hatte, klopfte das Pferd mit einem Huf so oft auf den Boden, bis das richtige Ergebnis erreicht war, dann stand es wieder still. Einer hochkarätigen wissenschaftlichen Kommission gelang es nicht, den Trick herauszufinden. Schliesslich entdeckte der Psychologiestudent Oskar Pfungst, was es mit den Rechenkünsten des Pferds auf sich hatte: Wenn es weder den Fragesteller noch das Publikum sehen konnte oder wenn keiner der Anwesenden die richtige Lösung kannte, versagte es völlig. Anwesende, die das Ergebnis kannten, reagierten nämlich unbewusst mit einer winzigen Körperbewegung, sobald Hans die richtige Anzahl geklopft hatte, das war das Signal für das sensible Tier, jetzt mit dem Klopfen aufzuhören. Was wie Rechnen aussah, war eine Pferden eigene natürliche Reaktion auf minimale optische Reize.
Experimente mit Katzen
Der Schweizer Verhaltensforscher Immanuel Birmelin wollte herausfinden, ob Katzen zählen können. Die Versuchsanordnung: Zwei Schälchen, jedes mit einem Deckel versehen, den eine Katze leicht beiseiteschieben kann, auf den Deckeln Punkte für die Zahlen eins und zwei. Dies kombinierte der Forscher mit einem akustischen Signal. War der Leckerbissen in Schälchen Nummer 2, klopfte er zweimal an ein Glas und beobachtete, ob die Katze die Töne den Punkten zuordnen und den richtigen Deckel öffnen konnte. Weitere Punkte kamen hinzu, und jeder der Schälchen enthielt die gleiche Belohnung. Bei vier Tönen wählte der getestete Kater in 90 Prozent der Fälle auf Anhieb richtig.
Birmelin schloss daraus, dass Katzen im Geist zumindest bis vier zählen und die Anzahl auf ein Bild mit der entsprechenden Punktzahl projizieren können. Hunde waren dazu nicht in der Lage, zeigten jedoch in anders konzipierten Versuchen, dass sie zumindest 1+1 und 1+2 zusammenzählen können.
Rabenvögel und weitere Probanden
Auch der deutsche Forscher otto Köhler arbeitete zur Nutzung nummerischer Informationen mit einer wachsenden Anzahl von Kästen und Punkten. Wenn seinem Raben Koko beispielsweise nur drei von fünf Kästen präsentiert wurden, klopfte der auf den Kasten mit der Punktzahl drei. Köhlers Vögel, darunter auch Sittiche und Papageien, konnten nach einigem Üben aus einer Reihe von Kästen jeweils den neunten antippen, in dem das Futter versteckt war, fanden sich also im Zahlenraum zwischen null und neun durchaus zurecht. Ähnliche Versuche wurden mit Ratten unternommen, die Zeitintervalle abschätzen können. Löwen, denen man über Lautsprecher die Stimmen eines fremden Rudels vorspielte, näherten sich mutig der Stelle, wenn die Anzahl der Stimmen geringer war als die Zahl der eigenen Rudelmitglieder. Hörten sie mehr Stimmen, zogen sie sich vorsichtig zurück
Primaten zählen Orangen
Und wie steht es bei unseren nächsten Verwandten mit dem Zählen? Sie müssen dazu ausgebildet werden und leicht fällt es ihnen nicht. Schimpansen brachte man bei, die Beziehung Gegenstand – Zahlensymbol zu erfassen und Ziffern der Reihe nach anzuordnen. Im Orangentest sollten sie im Raum versteckte Früchte suchen und dann auf eine der Karten mit den Punktzahlen null bis vier deuten. In 80 Prozent der Fälle lagen sie richtig, auch als man die Punkte durch arabische Ziffern ersetzte. Bei an der Universität Kyoto 2007 am Bildschirm durchgeführten Tests im Zahlenraum zwischen null und neun waren junge Schimpansen schneller als die Studenten und hielten länger durch. Dies spricht für ein sehr leistungsfähiges Kurzzeitgedächtnis – eine gute Voraussetzung zum Kopfrechnen. Wichtiger für das Leben in komplexen Gruppen ist allerdings das schnelle Erfassen von sozialen Rangordnungen.
Quelle: weltdertiere.ch
© Ruth-Lisa Knapp ist freiberufliche Lektorin und Redaktorin