Letzte Aktualisierung: 9. Oktober 2024 Text: Dr. iur. Gieri Bolliger und Dr. iur. Michelle Richner
Auch Heimtiere können Opfer von Kollisionen werden. Innerorts muss deshalb stets mit Tieren auf der Strasse gerechnet und das Tempo entsprechend angepasst werden. Weil Heimtiere im Gegensatz zu Wildtieren in der Regel im Eigentum einer Privatperson stehen, werden Unfallverursacher oftmals auch mit Schadenersatzforderungen der Tierhaltenden konfrontiert.
Wird ein Hund oder eine Katze im Strassenverkehr verletzt, sollte der Fahrzeuglenker dem Tier selbstverständlich sofort helfen, wofür er es am besten zu einem Tierarzt bringt oder einen Tierrettungsdienst – sofern es in der Region einen solchen gibt – alarmiert. Hat man das Eintreffen eines Notfalltierarztes abzuwarten, gilt es, die Unfallstelle zu sichern und das Tier wenn möglich mit einer Decke zuzudecken und zu verhindern, dass das unter Schock stehende Tier panikartig die Flucht ergreift.
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Wie bei einer Kollision mit einem Wildtier muss auch jeder Verkehrsunfall mit einem Heimtier unverzüglich gemeldet werden, und zwar wenn möglich dem Eigentümer des verletzten oder getöteten Tieres, auch wenn solche Hiobsbotschaften natürlich nur ungern überbracht werden. Häufig kann der Tierhalter jedoch nicht unmittelbar ausfindig gemacht werden, sodass der Unfall der Polizei zu melden ist. Diese Meldepflicht besteht von Gesetzes wegen; wer sich nicht daran hält, macht sich wegen eines Verstosses gegen das Strassenverkehrsrecht strafbar. Wird eine Kollision nicht gemeldet, kann zudem oftmals auch niemand die nötigen Massnahmen einleiten, um dem verletzten Tier zu helfen, womit dieses womöglich weiteren Schmerzen und Leiden ausgesetzt wird. Fährt ein Automobilist einfach weiter, anstatt ein von ihm angefahrenes Tier zum Tierarzt zu bringen oder andere Hilfemassnahmen zu ergreifen, muss er somit mit einem Verfahren wegen Tierquälerei durch Unterlassen rechnen.
Im Unterschied zu Wildtieren gehören Heimtiere in aller Regel jemandem und es besteht somit Privateigentum an ihnen. Dies hat zur Folge, dass der Eigentümer Schadenersatz für sein verletztes oder getötetes Tier geltend machen kann. Tiere sind rechtlich zwar keine Sachen, sie gehören aber trotzdem zum Vermögen ihres Eigentümers. Durch die Verletzung oder Tötung eines Heimtieres wird das Vermögen des Eigentümers geschmälert und ist er im haftpflichtrechtlichen Sinne geschädigt.
Während der Wert einer Sache mit der Zeit meistens sinkt, kann dies bei einem Tier völlig anders sein. Hat ein älterer Hund beispielsweise eine besondere Ausbildung (Blindenhund o. ä.) durchlaufen oder ist er aufgrund seiner Zuchteignung besonders wertvoll, kann sein Wert bedeutend höher sein als jener eines Welpen. Der Schaden kann den Anschaffungswert eines verletzten oder verstorbenen Tieres somit bei Weitem übersteigen. Unter Umständen kommt sogar eine Genugtuung in Betracht, vor allem wenn der Tierhalter durch den Verlust seines Tieres in seinen persönlichen Verhältnissen besonders schwer betroffen oder sogar traumatisiert ist. Kann der Eigentümer sein Tier nicht mehr wunschgemäss einsetzen, was beispielsweise bei einem Zuchtkater der Fall sein kann, für dessen Deckakte ein bestimmtes Entgeld verlangt werden konnte, ist es auch denkbar, einen allenfalls entgangenen Gewinn geltend zu machen.
Heilungskosten
Bis 2003 wurden Tiere vom Schweizer Recht noch wie Sachen behandelt. Bei der Schadenersatzbemessung im Fall ihrer Verletzung oder Tötung waren sie daher einem normalen Sachschaden gleichgestellt. Ersetzt werden mussten nur die Kosten bis zur Höhe des materiellen Werts des Tieres, also des Wiederbeschaffungswerts für ein neues gleichartiges Tier. Angesichts des geringen Anschaffungspreises vieler Heimtiere war dies sehr unbefriedigend. Gerade bei nicht reinrassigen oder Findeltieren können bereits einfache tierärztliche Eingriffe den Kaufpreis weit übersteigen.
Die Regelung war jedoch nicht nur für den Halter, sondern auch aus der Sicht des Tierschutzes problematisch, da viele Tiere aus diesem Grund medizinisch nicht ausreichend versorgt wurden oder werden konnten. Seit Tiere auch aus rechtlicher Sicht keine Sachen mehr sind, ist es nun aber möglich, dass der Schadenersatz ihren materiellen Wiederbeschaffungswert übersteigt. Nach der heutigen Rechtslage können sämtliche Heilungskosten, die für die Behandlung tatsächlich notwendig sind, auf den haftpflichtigen Fahrzeuglenker abgewälzt werden. Bei der Berechnung der notwendigen Kosten ist von der Frage auszugehen, welche Auslagen ein vernünftiger und umsichtiger Tierhalter in einer vergleichbaren Situation für die medizinische Versorgung seines verunfallten Tieres in Kauf nehmen würde. Die Behandlungskosten können natürlich auch dann vom haftpflichtigen Automobilisten eingefordert werden, wenn die tierärztliche Behandlung missglückt und das angefahrene Heimtier stirbt.
Affektionswert
Für viele Halter ist ein Heimtier ein wichtiger Bezugspunkt und eigentlicher Gefährte, dessen Tod ein grosser emotionaler Verlust bedeutet. Auch diese gefühlsmässige Beziehung zwischen Mensch und Tier wird vom Schweizer Recht geschützt, indem Tieren ein Gefühlswert – der sogenannte Affektionswert – zuerkannt wird. Hiermit wird der Wert bezeichnet, der einem Heimtier von seinem Halter oder dessen Angehörigen nicht aus wirtschaftlichen, sondern aus rein emotionalen Motiven beigemessen wird und der den materiellen Wert des Tieres übersteigen kann. Dieser Affektionswert muss in der haftpflichtrechtlichen Schadenersatzberechnung berücksichtigt und vom Schadenverursacher zusätzlich zum materiellen Schaden und einer allfälligen Genugtuung bezahlt werden. Die Schadenersatzforderung gegenüber dem für die Kollision mit dem Heimtier verantwortlichen Fahrzeuglenker setzt sich also aus verschiedenen Komponenten zusammen und kann rasch einmal einen vierstelligen Betrag erreichen.
Fehlende gesetzliche Hilfepflicht für Tiere in Not
Im Gegensatz zum schadenverursachenden Fahrzeuglenker obliegen Zeugen von Unfällen mit Tieren keine Gesetzespflichten. Wer an einem am Strassenrand liegenden Tier vorbeifährt, ohne diesem zu helfen, bleibt straffrei. Anders sieht die Rechtslage bei Menschen aus: Das Strafgesetz verpflichtet nämlich jedermann, einem Menschen in unmittelbarer Lebensgefahr zu helfen, sofern dies aufgrund der konkreten Umstände zumutbar ist. Wer dies nicht tut oder andere bei der Leistung von Nothilfe behindert oder sie sogar davon abhält, macht sich strafbar und wird mit einer Freiheits- oder Geldstrafe belegt.
Für Tiere in akuter Lebensgefahr sieht das Gesetz jedoch keine allgemeine Hilfepflicht vor. Im Unterschied zum Halter oder Betreuer eines Tieres oder jener Person, die die Gefahrensituation (durch die Kollision) geschaffen hat, müssen Zeugen einer Notsituation oder andere Unbeteiligte somit weder ein verletztes fremdes Tier zum Tierarzt bringen noch die Polizei oder den Halter des Tieres benachrichtigen. Aus tierschützerischen und ethischen Gründen sollte man in solchen Situationen aber natürlich trotzdem unbedingt helfen. Verantwortungsbewussten Verkehrsteilnehmern muss es ein Anliegen sein, sich um angefahrene Tiere zu kümmern. Hat man hierfür keine Zeit oder ist man unsicher, wie geholfen werden kann, sollte unverzüglich die Polizei oder gegebenenfalls ein Tierrettungsdienst verständigt werden.
Übernahme der Behandlungskosten
Wer ein verletztes fremdes Tier selbst zum Tierarzt bringt, ist aus rechtlicher Sicht Auftraggeber und somit grundsätzlich zur Übernahme der Erstversorgungskosten verpflichtet. Wird der Halter des verunfallten Tieres in der Folge eruiert, können die Aufwendungen auf diesen abgewälzt werden und kann er seinerseits gegenüber dem Unfallverursacher eine Schadenersatzforderung stellen. Der Fahrzeuglenker wiederum kann auf seine Haftpflichtversicherung zurückgreifen, die den Schaden in den meisten Fällen übernimmt. Eine konsequente Handhabe dieser Regelung würde das spontane Engagement von hilfsbereiten Personen für fremde Tiere aber natürlich stark hemmen. Die medizinische Erstversorgung, um das Leben des Tieres zu retten und seine Leiden zu lindern, ist für viele Tierärzte daher glücklicherweise selbstverständlich. Ausserdem verfügt die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST), der über 90 Prozent aller Privatpraktiker angehören, über einen speziellen Fonds für Findeltiere, woraus dem behandelnden Tierarzt die Behandlungskosten für verunfallte Hunde und Katzen bis zu einer bestimmten Obergrenze vergütet werden.
Fundmeldung bei toten Tieren
Auch wer ein totes Tier am Strassenrand entdeckt, sollte nicht einfach weiterfahren. Auch hier gilt es, den Eigentümer zu kontaktieren, sofern dieser bekannt ist, oder den Fund der Polizei zu melden. Sofern die Polizei den Eigentümer des Tieres nicht mittels eines Mikrochips identifizieren konnte – in aller Regel verfügen Polizeibeamte über ein Chiplesegerät –, sollte auch die kantonale Meldestelle oder die Schweizerische Tiermeldezentrale (STMZ) informiert werden, was im Übrigen auch für verletzte Tiere gilt. Wenngleich hierfür keine gesetzliche Pflicht besteht, können durch eine solche Meldung die Chancen erhöht werden, den Halter ausfindig zu machen.
Stiftung für das Tier im Recht (TIR)
Die TIR ist eine gemeinnützige und unabhängige Tierschutzorganisation, die sich seit 1996 beharrlich für eine kontinuierliche Verbesserung der Mensch-Tier-Beziehung engagiert. Schweizweit einzigartig, fokussiert sie dabei vor allem auf juristische Aspekte. Um die Hebelwirkung des Rechts auszunutzen, erarbeitet die TIR solide Grundlagen für strenge Gesetze sowie ihren konsequenten Vollzug. Sie hilft so nicht nur in Einzelfällen, sondern generell und allen Tieren.
Quelle: weltdertiere.ch
© Dr. iur. Gieri Bolliger ist Geschäftsleiter der TIR, Dr. iur. Michelle Richner ist rechtswissenschaftliche Mitarbeiterin der TIR.